Zukunft der (Stadt-)Zentren ohne Handel?

Handlungsempfehlungen der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der ARL erschienen

Die Abnahme der Leitfunktion des Handels verändert aktuell die Funktionsmischung vieler Innenstädte, Orts- und Stadtteilzentren – die Chancen, neue Einzelhandelsgeschäfte als Folgenutzungen für Leerstände zu finden, nehmen ab. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer Transformationsstrategie, die funktionierende urbane Kerne mit einer lebendigen multifunktionalen Nutzungsmischung und einer hohen Aufenthaltsqualität in den Mittelpunkt stellt. Dies erfordert neue privatwirtschaftliche und kommunale Geschäftsmodelle, die stärker auch das Gemeinwohl bei Mieten und Renditen beachten.

Das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlicher Nutzung einzelner Immobilien und der Revitalisierung der Innenstadt stellt neue Anforderungen an Dialog und Kooperation, Besatzmanagement, Planungs- und Förderinstrumente und somit an das kommunale Aufgabenverständnis. Zentrenentwicklung und -transformation müssen zukünftig zu den kommunalen Kernaufgaben zählen – auch indem strategisch relevante Schlüsselimmobilien frühzeitig erworben werden, um dann als Eigentümer Branchenmix und Mieten steuern zu können.

Dies sind zentrale Handlungsempfehlungen der von Klaus Mensing geleiteten Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Zukunft der (Stadt-)Zentren ohne Handel? Neue Impulse und Nutzungen für Zentren mit Zukunft“ der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Bremen / Hamburg / Niedersachsen / Schleswig-Holstein der Akademie für Raumentwicklung in der Leibnitz-Gesellschaft (ARL). Die Ergebnisse wurden im Juni 2020 als ARL-Positionspapier veröffentlicht. https://shop.arl-net.de/stadtzentren-handel.html

Anlass ist der zunehmende Funktionsverlust des Einzelhandels – sowohl in Klein- und Mittelstädten Norddeutschlands als auch in (Stadteil-)Zentren größerer Städte. Wenn die Leitfunktion des Handels abnimmt, steigt die Notwendigkeit, Strategien und Instrumente für eine gesteuerte Transformation der Zentren zu entwickeln. Im Kern geht es dabei um neue Nutzungen außerhalb des Handels, die durch neue Zielgruppen und zusätzliche Frequenz den Handel unterstützen und zu einer höheren Attraktivität des Zentrums als urbanem Marktplatz mit neuen Aufenthalts-, Kommunikations- und Erlebnisqualitäten beitragen.

Was kommt, wenn der Handel geht?

Ein Schwerpunkt der Transformation der Zentren in „urbane Marktplätze“ mit mehr Frequenz muss – neben innovativen Handelsnutzungen sowie etablierten Nutzungen wie Kultur, Dienstleistungen und Wohnen – auf der strategischen Ansiedlung ergänzender Nutzungen neben dem Handel liegen: öffentliche Einrichtungen wie Kitas oder eine Bücherhalle 2.0 als moderner digitaler Bildungsort, Gastronomie und Freizeit, Gesundheit, Coworking-Spaces, Handwerk und urbanes Kleingewerbe. Auch Wohnen in zentralen Lagen gewinnt an Bedeutung. Die Kommunen müssen hierfür mit den Akteuren vor Ort ein Zukunftsbild für ihr Zentrum entwerfen, das Handlungsleitlinien vorgibt und Zuständigkeiten definiert. Die öffentlichen Räume in den Zentren gewinnen gleichzeitig an Bedeutung und können als „gute Stube“ Mehrwerte generieren, indem sie qualitätsvolle und auch konsumunabhängige Angebote für ihre „Gäste“ zur Verfügung stellen. Im Zusammenspiel mit neuen Nutzungen können die Kommunen so Stadträume mit attraktiven Aufenthalts-, Kommunikations- und Erlebniswelten entstehen lassen.

Dabei sind die stadt- und immobilienökonomischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. In vielen Zentren sinken die Mieten, polarisieren sich die Lagen und verkürzen sich die 1A-Lagen. Aufgabe eines „Businessplans“ für das Zentrum ist es, frequenzstarke neue Nutzungen (Frequenzanker) in geeigneten Immobilien an den „richtigen“, d.h. frequenzbringenden Standorten anzusiedeln, um im Zusammenspiel einen attraktiven Lauf zu generieren. Eine neue Multifunktionalität bezüglich Nutzungen und Zielgruppen erfordert neue privatwirtschaftliche und kommunale Geschäftsmodelle, die stärker das Gemeinwohl bei Mieten und Renditen beachten. Eine strategische Option für die Kommunen besteht darin, frühzeitig Schlüsselimmobilien zu erwerben, um dann als Vermieterin mit günstigen Konditionen die Ansiedlung interessanter neuer Nutzungen zu ermöglichen: von der öffentlichen Nutzung bis zum innovativen Start-up.